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Theatre Of Hate |
Yes. Wolfgang Burats Fotos zur Zeit
No Tears,No Fun,No Future,No Wave; das waren tränende Körper,picklige Schadenslust,heftige Augenblicke als Vision, also hartnäckiges Steh-Surfen auf spitzen Steinen, unermüdlich.
Ich erinnere ein Gemenge hochfahrend Dilettierender (=sich erfreuen an),das sich ungeniert auf die Bühnen drängte und je nach Temperament heißlief oder sich kunstsinnig kühl gab.
Bühne hieß Auftritt und das hieß nicht nur tönen,sondern auch ein Bild abgeben.Dieses ,vor allen in den Anfängen selbst kreierte ‚Image’ (der Rotz-Punk,die Johannas der Schlachthöfe,die Alltagslärm-Beseeler,die Agit Prop-Minimalisten,die Neo-Soul-Brüder,die ‚guten’ Two Tone Ska Skins.......)suchte sich natürlich auch in den Druckmedien (vom Fanzine bis zum Boulevard) weitere Spiegelflächen.
Wir und das heißt u.a. Wolfgang Burat waren Teil dieser Experimentierwucht.Wir wollten mit der Zeitschrift Spex (Musik zur Zeit) ein informatives,begeistert kritisches Forum bereitstellen,das dem Gegenstand entsprechend offenere Formen teilnehmender ‚Berichterstattung’ ausprobieren sollte.Auch wir waren Anfänger und hatten jede Menge Lust einen offensiven Stil ins Werk zu setzen. Eine der ersten Entscheidungen war Überformat , Schwarz/Weiß und große Fotos.
Die Grund-Devise lautete: Nah rangehen,möglichst mit den Künstlern länger reden,zuhören und verstehen,danach eigene Denke und Sprache und Bilder tüfteln bzw.schießen.
Wolfgang Burat hat Anfang der 80er mit seinen Fotos dieses Image der ‚Nähe ohne Penetranz’ wesentlich mitentwickelt.Er vermochte den ohnehin stark vorhandenen Selbstinszenierungsdrang der Musiker und Entrepeneure (s.Malcom McLaren) in eine unpeinliche Dramatik umzufotografieren,die vor allem in der Nachsicht ( 30 Jahre! ) eine leicht heitere,ironische Note freigibt,die den Künstler als Menschen zulässt.
Ein solches fotografisches Weltbild zeugt von Charme,es sucht Umarmung und vermag sie weiterzugeben.
Da blitzen sofort einige Motive auf : Der in sich versunkene und mit sich und seinem Gitarrenklang im Reinen ruhende Mayo Thompson ,das kluge Zeigefingerlächeln der Laurie Anderson bewegt bleibend in der Licht/Schatten-Unschärfe oder der weise Sun Ra mit wohltemperierender Wollkappe und den übergroßen Revers-Nieten,die bestimmt Urknallstrahlungen bündeln.Das ist sehr einfühlsam gesehen und ich schätze,dann schnell gebannt.
Ein Porträt bleibt mir beim Wiederansehen besonders hängen.
Es ist das Foto der jungen Bettina Köster,die mit den Bands Mania D und Malaria Ende der 70er/Anfang der 80er Jahre Furore machte.Sie schaut aufrecht und entschlossen in die Kamera -also uns in die Augen und tiefer- ,teilt aber gleichzeitig ihre Verletzlichkeit aus.Der sich öffnende Mund verrät es.
Alles geben wollen,zart und hart,volles Risiko gehen und immer der Schimmer des Scheiterns.Nach bewegtem Leben steht Bettina Köster gegenwärtig wieder auf der Bühne, zu ihren Bedingungen.Ihr Porträt zeigt die Essenz des spannungsvollen Anfangsenthusiasmus der frühen 80er auf’s Dichteste.Kill the Eighties war der Leitspruch der Musikerin als sie vor ein paar Jahren zum Publikum zurückkam.
Wolfgang Burat hat kurz entschlossen und mit wahrer Bravour Musikmenschen und Szenen besagter Zeit mit ihrer kleinen und großen Wahrheit per Foto kurzgeschlossen und sie so bewahrt.Nicht zuletzt ,und das ist viel, die Spur des Intimen.
Peter Bömmels, 9.11
Die Fiktion des Faktischen
von Markus Heidingsfelder
Anders als der Fotografierte ist das Foto scheinbar der Zeit enthoben. Es verändert sich nicht, zumindest nicht wesentlich. Aber dass die Rezeption dieser Fotos sich verändert hat, lässt sich beobachten. Wir nehmen diese Bilder, mit einem Abstand von mehr als zwanzig Jahren, anders wahr. Sie sind gerade nicht: der Zeit enthoben.
Diese Ausstellung weist ihnen von vornherein einen Platz innerhalb eines längeren Zeitraums zu, versucht sie als Geschichte beobachtbar zu machen. Hier die Einzelereignisse – die einzelnen Fotos – dort ihre Einbettung in einen längeren Zeitraum, der mit dem Beginn der 90er Jahre plötzlich abbricht. Das Dekadenmodell verführt zu derartigen Abbrüchen, Enden, die sich, blickt man auf den flow der Ereignisse, den nie abreißenden Strom dessen, was geschieht, der höchstens Umschwünge, Momente des Schneller- bzw. Langsamerwerdens kennt, Schnappschüsse und Langeweile, Variationen und Restabilisierungen, kaum rechtfertigen lassen. Die Frage, warum Wolfgang Burat das Fotografieren von Pop plötzlich einstellte, hat vor allem biographische Ursachen – es ist verlockend, sie auf die geschichtliche Bewegung, den Strukturwandel von Pop selbst zu beziehen.
Die strukturellen Bedingungen für Popmusik haben sich geändert – auch davon erzählen Burats Bilder. Manche sprechen von dramatischen Veränderungen, andere von Nuancen. Auch die strukturellen Bedingungen unseres Wahrnehmens und Denkens haben sich geändert, die den Rahmen unserer Wahrnehmung bilden, in die wir ein Ereignis wie diese Ausstellung einbetten, die wiederum Struktur ist, Vorbedingung für die Wahrnehmung der einzelnen Bilder als Singularitäten. Der Strukturwandel gilt uns ja längst selbst als Ereignis.
Der transitorische Charakter, der Schwellencharakter unserer Zeit als neue große Erzählung: Noch nicht Zukunft, nicht mehr Vergangenheit. Die Fotos helfen uns, diese neue Zeit zu begreifen – nicht nur, weil sie uns bestimmte Schlüsse ermöglichen, Nach- und Vor-Aussagen. Sondern weil sich in diesen Fotos Strukturen zeigen, die unseren damaligen Handlungsspielraum bedingten, begrenzten – und erweiterten. Popgeschichte sollte ihre Lehren also nicht nur aus Pop-Geschichten ziehen,sondern aus den Bewegungsstrukturen der Pop- Geschichte selbst.
Diese Strukturen finden sich in Wolfgang Burats Bildern. Fotos zur Zeit, zu einer Gegenwart, die zu vergegenwärtigen uns dank ihnen leichter fällt als mit Hilfe unseres trügerischen Gedächtnisses, das – im Gegensatz zu diesen Bildern – nicht stillsteht. Vielleicht müßte man stattdessen sagen: Fotos zu Zeiten, weil sich in ihnen mehrere Zeiten überlagern, mit Herder mehrere, unzählbar viele Zeiten zeigen, die sich nicht auf eine Zeit – die 80er Jahre
– reduzieren lassen, und die uns doch als eine Zeiteinheit erscheinen, als Knotenpunkt bestimmter popmusikalischer Ereignisreihen, als Zusammenschau dieser Ereignisverkettungen. Im Rückblick: eine Epoche, die aber – je nachdem, welches Foto man betrachtet, welchem Sach-Verhalt man sich zuwendet, wie man sich also sach-verhält – sich in eine Vielzahl von Einzelepochen auflöst. Die Bilder von Wolfgang Burat machen es möglich, den Blick auf diese Zeiten in der Zeit zu schärfen: Früher heute. Zeiterfahrung,die sich fotografisch manifestiert, und deshalb in der Lage ist, die Relation dieser vergangenen Zeit im Verhältnis zum Hier und Jetzt auf kompakt-diffuse Weise zu vermitteln – im Gegensatz zu einem Text wie diesem: „Das Größte aber ist die Sinnlichkeit der fotografischen Information. Einen Text muß man lesen, d.h. man muß bereits denken, um die Information überhaupt zu erhalten. Das Foto dagegen starrt einen an oder läßt tief blicken, in jedem Fall stürzt es sich direkt übers Auge ins Hirn. Ich denke da an Wolfgangs Foto von mir und meinen Zähnen. Literatur über die Spätfolgen der Karies läßt mich kalt. Beim Anblick des Fotos begann mein linker Schneidezahn zu wackeln. Das nenne ich Fotografie.“ (Clara Drechsler)
Wenden wir uns den Prozessen zu, dann beschreiben wir, erzählen wir
Geschichte; achten wir auf die Ereignisse, erzählen wir Geschichten. Natürlich bleiben beide Momente aufeinander verwiesen, lässt sich keine nicht-erzählende Beschreibung denken und keine nicht-beschreibende Erzählung. „1980-1990“ wird beiden Momenten gerecht. Die einzelnen Bilder erzählen, doch in ihrer Gesamtheit, ihrer zeitlichen Erstreckung werden sie zu einer Beschreibung der 80er Jahre, die weit über die üblichen Schematisierungen und Trivialisierungen hinausreicht. Sie erzählen vom Reichtum und von den Widersprüchen einer Epoche, die – gerade weil der Blick Burats, wenn auch eingebettet in ein vom Punk inspiriertes Do-it-yourself, in, wenn man so will, den Ethos selbstbestimmten, freien Arbeitens, kein ideologischer ist, keiner, der Belege sucht, sondern allein im Moment des Fotografierens aufzugehen sucht: „Ich habe nicht mit einer vorgefertigten Ästhetik gearbeitet. Die hat sich immer situativ ergeben, je nachdem, was das für Typen waren. Bilder ästhetisch zu bearbeiten, interessiert mich auch weniger als der reine Moment des Fotografierens.“
Nicht das Foto, der Moment des Fotografierens, der „Schuss“ selbst wird zum Ereignis. So spricht Burat von „einer Art Wurfgestaltung“, als werfe man ein Lasso. Wenn sich die Schlinge im richtigen Moment zuzieht, kann sich auch das Foto, der Schnapp-Schuss: die Beute in ein Ereignis verwandeln. Aber darum geht es für Wolfgang Burat in diesem Moment nicht, sondern um diesen Moment, den Wurf.
Den richtigen Moment kennt natürlich auch ein erfahrener Fotograf wie er nicht. Aber man kann ihn herausfordern, provozieren, man riskiert etwas – wirft – und gewinnt oder verliert, darauf kommt es nicht an. Burats Instrumente: der entfesselte, die Köpfe und Situationen verzerrende Blitz mitsamt Über-Kopf-Schuss – gleich zwei Möglichkeiten, der Flüchtigkeit einzelner Momente mit leichter Ausrüstung Herr zu werden. Das Resultat ist ein Paradox: Schnappschüsse, die den Charakter von Inszenierungen haben.
Die hier gezeigte Zeitreihe lebt von diesen Einzelereignissen, die ihre eigene Zeit und Wahrheit haben: „Gabi Delgado gibt den Flugzeugkapitän; Boy George mit umgehängter US-Flagge; Afrika Bambaata als Zeremonienmeister; der junge Peter Hein unterm Grauschleier; Iggy Pop agil; Can, so diffus im Raum verteilt wie ihre Musik.“ (Olaf Karnik) Doch ihre Aussagekraft geht weit über das einzelne Bild hinaus. Die Bilder gewinnen erst auf dem Raster der Zehn-Jahres-Frist Bedeutung. Erzählung und Beschreibung verzahnen sich. Durch die Beobachtungsdirektive 1980-90 wird umgekehrt die Struktur, die Abgeschlossenheit eines Jahrzehnts, zur Voraussetzung des Beobachtens dieser Ereignisse: eines Gabi Delgado, eines Boy George mit umgehängter US-Flagge, eines Zeremonienmeisters namens Afrika Bambaata. Sie gehen in unser Beobachten dieser Pop-Akteure ein, sie verleihen jedem einzelnen Foto einen ganz bestimmten, historischen Sinn. Und sie machen vor allem eines klar: Die 80er Jahre lassen sich nicht in einem strikt chronologischen Vorher-Nachher erzählen. Ein Begriff wie 'die 80er Jahre' thematisiert Gleichzeitigkeiten im Ungleichzeitigen, die nicht reduziert werden können auf eine bloßen Zeitenfolge. Er umgreift eine Vielzahl an Tatbeständen, Prozessen, er ist eine formale Kategorie, die Bedingung dessen, was über die 80er Jahre erzählt werden kann. Umgekehrt manifestiert sich in allen Fotos deshalb auch das Dauerhafte, Langfristige, die Struktur dieses Jahrzehnts. Die Bedeutung von Delgado, Boy George, Bambaata ist eben nicht nur ereignishafter, sondern auch strukturaler oder struktureller Natur, wenn man sich ansieht, wie sie – im wahrsten Sinne des Wortes – als Resonanzerzeuger wirkten.
Es sind vor allem strukturelle Bedingungen, die in der Kunst Stilrichtungen entstehen lassen, also einander ähnelnde Formen, und die auch erklären, warum die Fotos von Wolfgang Burat ein bestimmtes Erscheinungsbild besitzen. Die strukturellen Voraussetzungen des Punk können die Fotos nicht erklären – aber sie können erklären, was sie möglich gemacht hat, als Vorausgesetztheiten. Die Geschichte der Fotos lässt sich nur chronologisch erzählen und sinnfällig machen. Aber jedes einzelne Bild ist immer auch ein Symbol, seine Bedeutung ist eben nicht nur ereignishafter, sondern auch strukturaler oder struktureller Natur.
Es reicht also nicht, die Ereignisse nur zu erzählen: Erst dies, dann jenes, weil man sich so an die fotografisch geschaffenen ‚Fakten’ halten kann, die Transformationsleistung – vom konkreten Ereignis zu abstrahieren, abzusehen zugunsten der Strukturen, in die ein Foto eingebettet ist und in die es schließlich eingeht, um ein Teil von ihnen zu werden – eben nicht ohne weiteres zu leisten ist. Die Ausstellung macht deutlich, dass eine solche Verkürzung den Geschehnissen – weder den konkreten Ereignissen noch den Strukturen, die sie hervorbringen und in die sie, diese modifizierend, eingehen – nicht gerecht wird. Die Faktizität der Fotos ist nicht identisch
mit der Wirklichkeit der damaligen Zusammenhänge. Ihre Wahrheit ist eine andere.
Markus Heidingsfelder 10.11
Wolfgang Burat
No Tears. Photos 1980 - 1990
21/10/11 - 03/12/11 Eröffnung Freitag, 21/10/11, 18h Wolfgang Burat, geboren 1955 in Osnabrück, lebt und arbeitet in Köln. 1980 war er Mitbegründer und Mitherausgeber der Zeitschrift SPEX, für die er zehn Jahre, von 1980 bis 1990, Musiker, Bands, Künstler, Konzerte und Fans photographierte. Zum Kunstwochenende München zeigen wir eine Auswahl von Vintage Handabzügen/Unikaten, die Burat seinerzeit für Spex produzierte.
Tanja Pol Galerie vertritt das Archiv von Wolfgang Burat. Im Rahmen des Kunstwochenendes laden wir Sie auch ein zu folgender Veranstaltung in der Galerie: Re-Entries. Wolfgang Burat im Gespräch mit Markus Heidingsfelder, Dozent an der LMU, München, und Thomas Meinecke, Autor, Musiker, DJ.Samstag, 22/10/11, 19.30h www.kunst-wochenende.eu Image: Wolfgang Burat: Afrika Bambaataa, Köln, 1983
courtesy TANJA POL GALERIE
LUDWIGSTRASSE 7 80539 MÜNCHEN
T+49.89.18946486 F+49.89.18946487